Revival des stationären Handels?
Marktforscher haben in den letzten Jahren dem stationären Handel eine sehr düstere Zukunft prognostiziert – Professor Günter Faltin von der FU Berlin äußerte sich zum Beispiel im Dezember 2012 im Tagesspiegel: „Langfristig werden nur zehn Prozent der heutigen Einzelhandelsflächen überleben“. Andere reduzieren die Rolle des stationären Handels auf das so genannte „Showrooming“ (d.h. Kunden lassen sich im Shop beraten, kaufen dann aber günstiger online). In der Tat ist der Preis sicherlich ein wichtiger Aspekt, der den Kunden zum späteren Kauf Online bewegt, aber oftmals ist es auch einfach die Verfügbarkeit spezieller Produkte. Beispielsweise im Modebereich hat der stationäre Handel inzwischen vielfach nur eine geringe Sortimentstiefe (d.h. der Händler hat einen Anzug beispielsweise in 2 Farben gelistet, der Kunde möchte jedoch genau diesen Anzug in einer anderen, lt. Website des Herstellers verfügbaren Farbe), so dass sich hier interessante Positionierungen für Online Unternehmen – oder ganz einfach sind einzelne Produkte in der Filiale beim Besuch des Kunden ausverkauft.
Anteil von Online-Shops in verschiedenen Branchen
Die aktuelle Erhebung von Professor Heinemann von der Hochschule Niederrhein ist sehr interessant: in einigen Branchen haben sich Online-Shops 2012 in Deutschland bereits über 20% Marktanteil gesichert. Allen voran der B2C Büchermarkt, in dem aktuell rund 40% der Bücher über Amazon, Buecher.de und Co verkauft werden. Professor Heinemann erwartet für 2013, dass der Bereich UE wahrscheinlich mit 30% die Medien mit 29% überholen wird.
Kann der stationäre Handel dem Marktanteilsverlust gegensteuern?
Pauschal wird man dies sicher nicht beantworten können, aber gerade Anbieter, die eine attraktive Online-Präsenz haben, werden bei intelligenter Kombination der beiden (bzw. weiterer) Channels profitieren können. Und zwar nicht mit Maßnahmen wie dieser, bei denen Kunden für das „ich will mich nur mal umsehen“ 5 Dollar bezahlen müssen (Kuriose Maßnahme gegen den Showrooming Effekt) ;-).
Betrachtet man die Studie von Google, sieht man, dass der stationäre Handel mit seinen Stärken in den Bereichen persönliche Beratung, Sicherheit, Service, etc. auf jeden Fall seine Berechtigung hat. Viele Kunden informieren sich Online, möchten dann aber auch Offline in einem Laden kaufen.
Google Research auf: http://full-value-of-search.de/
Das neue Erfolgsrezept: Click & Collect?
Bei dem Click& Collect-Ansatz können Online-Shopper ein Produkt online bestellen und dann offline in einer Filiale abholen – Walmart hat dies vor rund 6 Jahren ins Leben gerufen und war damit von Anfang an sehr erfolgreich. Vorteil für Kunden ist, dass das Shipping in die Filiale in der Regel kostenfrei ist und Kunden sich somit sicher sein können, dass ein gewünschter Artikel auch tatsächlich im Laden verfügbar ist. Bei Halfords.com, dem englischen Pendant zu ATU, beträgt der Anteil an den Click & Collect Bestellungen bezogen auf alle Online-Bestellungen bereits 3 Jahre nach dem Launch 86% (Quelle: econsultancy). Auch in Deutschland ist das Thema bereits recht populär – wie anläßlich des Telefonica E-Commerce Kongresses vergangene Woche berichtet wurde, wird dieser Service zum Beispiel bei Ernstings Family auch schon rege genutzt – angeblich lassen sich 80% der Online-Kunden die Waren in die Filiale liefern. Vor rund 3 Monaten hat auch C&A einen vergleichbaren Service gelaunched, jedoch noch keine Kennzahlen veröffentlicht. Karstadt startete erst vor kurzem mit einem vergleichbaren Service für einzelne Produkte.
Besonders interessant ist, dass bei der Abholung in der Filiale auch tolle OnTop-Umsätze generiert werden – im Fall von Ernstings Family werden angeblich bei 50% der Bestellungen in der Filiale weitere Artikel gekauft. Zudem sind die Warenkörbe bei Online-Bestellungen deutlich größer als bei reinen Filialkäufen (Quelle: New York Times) Nicht zu vergessen der Vorteil, dass Retouren nicht mehr postalisch einzeln zurückgesendet werden, sondern direkt im Shop wieder dem Verkauf zugeführt bzw. als „Sammelpaket“ zurückgesendet werden.
Im April 2012 hat Walmart zudem auch die Möglichkeit angeboten, die Online-Bestellungen direkt in der Filiale bar zu bezahlen – mit dieser Massnahme kann man sehr einfach Kunden, die online die Bank- oder Kreditkarten nicht eingeben wollen, abholen und zum Shoppen in der Filiale animieren.
Wenn man das ganze Konzept weiter durchdenkt, kommt man sehr schnell drauf, dass das Verkaufspersonal in den Filialen den Omni-Channel-Gedanken absolut leben muss und zum Beispiel proaktiv Kunden, die ein nicht-vorrätiges Produkt (sei es aufgrund der Sortiemtstiefe oder einfach nur mangels Verfügbarkeit im Store) kaufen möchten, via Terminal oder Pad zu einer Online-Bestellung animieren. Aber das und noch viele weitere, spannende Ideen, wie sich der stationäre Handel wandeln kann, ist dann der Gegendstand eines weiteren Beitrages 🙂
Die Onliner reagieren aber:
Dass der stationäre Handel nicht nur ein „Ballast“, sondern auch eine Chance sein kann, haben inzwischen auch die Onliner offensichtlich erkannt – daher schliessen aktuell reine Online-Shops mit Filialisten Verträge, damit die online gekauften Produkte auch in eine Filiale eines Kooperationspartners geliefert werden können. Der Filialist hat den Vorteil, dass er damit neue Kunden gewinnt und vielleicht Zusatzverkäufe generieren kann. Aber auch Online-Player wie Amazon etablieren das Locker-Konzept (ähnlich der deutschen Packstation) in immer mehr Shopping-Centern. Es ist wohl eine Frage der Zeit, wann daraus auch kleiner Erlebniswelten werden und die großen Online-Player zumindest als kleine Filialisten auftreten.
Das optimale Pricing – die wesentliche Herausforderung
Eine der wesentlichen Herausforderungen der Omni-Channel-Ansätze ist jedoch das Pricing. Um in der Online Welt mit Preisvergleichen und den Google PLAs zu bestehen, müssen hier intelligente Wege gefunden werden, wie man mögliche günstigere Preise in den Online-Kanälen mit denen „Listenpreisen“ der Filialen in der Fussgängerzone matchen kann ohne hier Kunden zu vergraulen. Bei Gravis zum Beispiel sind die Online-Preise teilweise günstiger als die Filialpreise – informiert man sich als Kunde online und geht dann in die Filiale, um das Produkt dort zu kaufen, muss man den höheren Preis bezahlen. Spricht man den Verkäufer auf die Preisdifferenz an (man will ja als Kunde nicht den teuren Filialpreis bezahlen), erhält man vom Verkäufer einen etwas seltsamen Tipp: Der Kunde soll in der Filiale an einen Online-Rechner gehen, dort das Produkt via Website bestellen, die Filiale zur Abholung auswählen und schon bekommt man den günstigeren Preis. Ich denke, das ist sicher noch nicht die ideale Lösung 😉
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Das war mir so ganz ehrlich noch gar nicht bewusst. Gibt es denn schon Empfehlungen, wie Unternehmen mit dem Problem der Preise in den unterschiedlichen Kanälen umgehen sollen bzw. Best Practice Beispiele?
@Mirko: Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich habe mich im Rahmen eines Beratungsprojektes mit dem Thema etwas detaillierter auseinandergesetzt und denke, dass die Strategie doch sehr vom jeweiligen Einzelfall (insbesondere Branche, Preisgefälle zwischen UVP und Online-Preis, etc.) abhängt. Veröffentlichte Case-Studies zu dem Thema kenne ich leider nicht.